Selfcare, Me-Time, Selbstliebe – eine Reihe von Begriffen, die sich heute oftmals mehr oder weniger synonym aneinanderreihen. In Zeiten dauerhafter Krisen und Herausforderungen ist es mehr als verständlich, dass Menschen nach Wegen suchen, um (wieder) zu mehr Achtsamkeit zu kommen. Doch gerät bei den Konzepten heute viel zu oft aus dem Blick, worum es eigentlich gehen sollte.
Habt ihr heute schon das mal das Handy in den Flugmodus geschaltet, euch ganz bewusst eine Tasse Tee gemacht oder euch für einige Minuten nur auf eure Atmung konzentriert? Selfcare bedeutet, ganz explizit Zeit für die Selbstfürsorge zu schaffen. Wie es einem gelingt, gut fürs eigene Wohlbefinden zu sorgen, kann individuell ganz unterschiedlich aussehen. Die Tipps und Ratschläge häufen sich dafür allerdings seit einigen Jahren. Der Begriff Selfcare ist zu einem Modewort geworden, was nicht zuletzt dazu beiträgt, Selbstfürsorge zu vermarkten.
Kauf diese Creme, lies dieses Buch, trink diesen Tee #Selfcare
Sucht man in sozialen Netzwerken nach dem Begriff Selfcare, findet man in erster Linie Werbung für Produkte. Cremes, Maniküre, zwischendrin ein inspirierender Spruch. Diese Kommerzialisierung ist fatal. Denn in der Folge wird etwas ganz Selbstverständliches, nämlich die Sorge für das eigene Wohlbefinden, zu einem Konsumprodukt. Sich die Zeit für sich selbst zu nehmen, wird zu einem Trend stilisiert. Es entsteht ein Lifestyle, der sich in Stories auf Instagram vermarkten lässt und der letztlich zu noch mehr Druck führt. Denn diese Entwicklung führt uns weg von unserer Intuition.
Dieses Paradox verdeutlicht auch der „That Girl“-Trend auf Tiktok ganz explizit. Junge Mädchen und Frauen zeigen ihre vermeintlich gesunden Routinen aus frühem Aufstehen, gesunder Ernährung, der Auseinandersetzung mit den eigenen Zielen und natürlich Sport – Selbstdisziplin im Zeichen der Selbstoptimierung, getarnt als bewusster Lebensstil.
Damit ist der Begriff Selfcare ist unserer heutigen Zeit keine Antwort mehr auf unsere Bedürfnisse, sondern ein To Do mehr, das es abzuhaken gilt. Die Selbstfürsorge bedient im schlimmsten Fall nur noch weiter das Hamsterrad: Halte dich fit und gesund, damit du noch mehr Leistung erbringen kannst.
Worum es bei Selfcare ursprünglich ging…
… dürfte wohl kaum bekannt sein. Die Neue Narrative beschreibt recht ausführlich, dass das Konzept eigentlich einer politischen Tradition folgt. Im Zuge der Civil Rights Movements entwickelten sich in den USA der 60er- und 70er-Jahren Ansätze zur gegenseitigen Unterstützung und gesundheitlichen Fürsorge von und für Menschen, die von Armut, Diskriminierung und Rassismus betroffen waren.
In den Folgejahren kam auch geprägt durch die Hippie-Bewegung der Aspekt von Wellness dazu. Dies mündete schließlich in die Fitness- und Yogatrends, die wir auch heute kennen.
Selbstfürsorge jenseits von Symptombekämpfung
Trotz aller Kritik am Konzept ist es ohne Frage zentral, sich dem eigenen physischen und psychischen Wohlbefinden zu widmen. Wir spüren nicht zuletzt in Folge der Pandemie, wo eine Gesellschaft landet, in der Leistung und Selbstoptimierung als erstrebenswert deklariert werden. Plätze für Psychotherapie sind kaum zu bekommen, Arztpraxen sind überfüllt, das Personal ist überlastet. Es ist ein Teufelskreis in diesen immer schnelllebigeren Zeiten, der uns dazu zwingt, dem Druck entgegenzuwirken indem wir uns doch bitte um uns selbst sorgen. Doch wenn immer nur die Symptome bekämpft werden, können wir dem Hamsterrad wohl kaum entkommen. Vielmehr sollte es wieder stärker darum gehen, unsere Bedürfnisse kennenzulernen, Grenzen zu setzen und so den Druck von außen, etwas weniger werden zu lassen.